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KOLUMNE • Erstickt die Welt am Konsum? Was wir aus der Corona-Pandemie lernen können

Klima- und Umweltschutz sind eines der meistdiskutierten Themen unserer Zeit. Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit ist längst in den Köpfen der Bevölkerung angekommen und  die Auswirkungen des Klimawandels sind weltweit deutlich spürbar. Doch letztendlich ist es die Corona-Pandemie, die uns klarmacht: Was auf der anderen Seite des Erdballs passiert, hat unmittelbaren Einfluss auf mich …

… Dadurch, dass sich mein Umfeld an Hygienevorschriften hält, kann ich vom COVID-19-Erreger verschont bleiben.

… Wenn sich Konsumenten an der Fleischtheke für Billigfleisch entscheiden, kann die Fleischindustrie zu einem, auch mich betreffenden, Infektions-Brandherd werden.

Zusammengefasst: Das Leben offenbart sich als ein zusammenhängender, wechselseitiger Organismus.

 

die Pandemie birgt Hoffnung

Indes werfen Ausgangssperren und Zurückgezogenheit die Fragen auf: Was brauche ich eigentlich wirklich, um hier durchzukommen? Was bedeutet Lebensqualität? Muss es wirklich immer mehr sein?

Verzicht scheint plötzlich nicht nur möglich, sondern auch wohltuend, ja fast schon befreiend. Auf einmal haben wir mehr Zeit Zuhause.  

Viele von uns haben die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Wir haben Zeit zum Nachdenken und Runterkommen. Existenzielle Gedanken werden beflügelt und Menschen vor neue Entscheidungen gestellt. Es ist die Symbiose dieses Innehaltens, gepaart mit der Ohnmacht gegenüber dem Virus und dem daraus entstehenden Aktivismus, die die Hoffnung für die Nachhaltigkeitsbewegung vorantreibt.

was passiert nach der Pandemie?

Weniger Konsum, dafür bessere Produkte. Weniger Gier, dafür mehr Mitmenschlichkeit. Ein nachhaltiges orientiertes, faires Leben – es scheint zum Greifen nah.

Doch eine kürzlich veröffentlichte Studie von der ZEIT spricht eine ganz andere Sprache: 81 Prozent der Befragten sagen, dass nach der Pandemie das Shoppen weitergeht wie bisher. Hat die Krise also doch nicht die Menschen in ihrem Konsumverhalten verändert? Was, wenn nicht eine solche Krise, vermag es überhaupt, das Verhalten der Menschen zu ändern?

 

Wie ticken wir wirklich?

Dieser Frage geht der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger und Psychologe Daniel Kahneman in seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken nach. Er zieht den Schluss, dass Menschen oft irrational handeln, weil sie den kurzfristigen Nutzen höher einschätzen als den langfristigen.

Auf seinen Ideen basiert Nudging-Politik. "Die Entscheidungen, die Menschen für sich selber treffen, lassen sich durchaus zutreffend als Fehlentscheidungen bezeichnen", schreibt Kahneman. Den Mensch könne man so verstehen, als würden zwei unterschiedliche kognitive Systeme seine Entscheidungen steuern. Das erste System stellt unseren Autopilot dar: das impulsive, emotionale, spontane Selbst. Es arbeitet schnell und intuitiv. Das zweite System ist das abwägende, planerische, kontrollierende Ich. Es erfordert Konzentration und braucht Zeit.

Viele Wirtschaftsunternehmen machen sich das zu nutzen, wenn sie dir beispielsweise preislich gestaffelte Abos verkaufen: am Anfang zahlst du wenig, dann immer mehr.

Allerdings kann das Nudge-Prinzip auch umgekehrt angewandt und zum Beispiel für nachhaltige Themen eingesetzt werden. In dem Fall mit dem Anspruch, Gutes für Mensch und Natur zu bewirken. Welche Nudge-Ansätze beim nachhaltigen Konsum es in unserer Politik bereits gibt, erfährst du hier.

Bedeutet das zusammengefasst, dass die Pandemie überhaupt keinen Bewusstseinswandel herbeigeführt hat? War der Nutzen von einem gemäßigteren, menschlicheren Leben lediglich kurzfristig größer? Werden wir alle also erst aufwachen, wenn das Eindringen der Menschen in die Natur so massiv ist, dass ein Kollaps des Organismus – unserem Organismus – unumkehrbarer ist?   

Homo sapiens, das sogenannte vernünftige Wesen, schafft sich also selbst ab?  

Mein Blick schweift in die Ferne. Es ist ein erschütterndes, weil realistisches Szenario. Ich denke mir, wir alle sollten uns fragen: Wie schaffen wir es über staatliche Anreize hinaus, unser vom kurzfristigen Nutzen geleitetes Wesen zu überwinden?

Bei mir selbst habe ich zwei wertvolle Beobachtung gemacht, die mir an guten Tagen helfen mit diesem Wesen ins Gericht zu gehen:

Zum einen grub sich eine Erfahrung tief in mein Bewusstsein ein: Es ereignete sich vor ein paar Jahren, dass mich ein wahnsinniger Mottenbefall dazu zwang, meine gesamte Garderobe in die Mülltonne zu kippen. Tschüss Seidenkleidchen, Wollmäntel und alles andere Schicke. Diese eindringliche Erfahrung hat mir unmissverständlich vor Augen geführt: alles Materielle ist vergänglich. Von nun an spreche ich aus der Selbsterfahrung heraus, wenn ich meine: Materielles geht, mein Geist und Körper bleiben. Seitdem investiere ich in alles Gute für meinen Kopf und Bauch und lebe minimalistisch.

 

wie wir uns ändern können

Manchmal helfen mir Glaubenssätze dabei, Kurs zu halten: Wenn ich zum Beispiel Lust auf neue Schuhe habe und damit beginne, digitales Window-Shopping zu betreiben. Dann gelingt es mir häufig mit folgendem Satz zu intervenieren: Sei bitte kein Konsumopfer.”

Dann schaue ich nochmal näher hin: Brauche ich die Treter wirklich? Habe ich auch noch in ein paar Jahren Lust darauf? Versuche ich hier etwa einen anderen Mangel zu befriedigen? Kann ich nicht etwas ähnliches auch gebraucht finden? Damit habe ich tatsächlich viele innere Diskussionen gewonnen.

Erst wenn Produkte diese Hürde nehmen, erlaube ich mir einen noch genaueren Blick: Sind sie wirklich fair und nachhaltig produziert? An solchen Tagen habe ich meinen Konsum-Kompass fest in der Hand. Er sagt mir: „Less but better.“

Ich möchte mehr über dich und deine Erfahrungen wissen. Wie gelingt es dir, dein inneres Konsumopfer zu bändigen? Ich freue mich auf deine Gedanken und Tipps zum Thema!